Der „White Savior Complex“ in der Freiwilligenarbeit

Ein weißer Arm streckt in überheblicher Stellung einem farbigen Arm die Hand entgegen.

Was ist das Phänomen des „White Saviorism“, warum ist er schädlich und welche nachhaltigen Praktiken und Lösungen gibt es?

Der „White Savior Complex“ – weißer Retterkomplex oder auch weißer Erlöserkomplex – ist ein Kritikpunkt, der sich auf die Art von Wohltätigkeitsarbeit oder Entwicklungshilfe bezieht, bei der sich privilegierte Menschen, oft aus Ländern des globalen Nordens, insbesondere weiße Menschen, als Retter oder Helden für Menschen aus Ländern des Globalen Südens darstellen.

Dieses Phänomen geht oft mit stereotypen Darstellungen einher und kann zu bevormundenden und oberflächlichen Verhaltensweisen führen. Es ist schädlich, weil es Machtungleichgewichte verstärkt, die Perspektiven und Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften ignoriert und oft zu kurzfristigen, nicht nachhaltigen Lösungen führt.

Was hat das mit Freiwilligen­arbeit zu tun?

„White Saviorism“ ist oft eng mit Freiwilligenarbeit verbunden, insbesondere wenn Menschen aus wohlhabenderen Ländern in politisch, wirtschaftlich und sozial benachteiligte Länder reisen, um dort Hilfe zu leisten. In diesen Fällen kann die Motivation für die Freiwilligenarbeit von dem Wunsch geleitet sein, eher als Retterin oder Retter aufzutreten, als eine wirkliche und nachhaltige Veränderung herbeizuführen. Unüberlegtes, unreflektiertes, willkürliches und eigennütziges Verhalten kann so zu Abhängigkeiten, Machtungleichgewichten und einem Mangel an lokalem Empowerment führen.

Welche Fragen sollte man sich selber stellen, um "White Saviorism" zu vermeiden?

Um „White Saviorism“ zu vermeiden, sollten Freiwillige, die sich im Naturschutz, in der karitativen Arbeit oder in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren, ihre eigenen Motive und Verhaltensweisen kritisch hinterfragen und in einen nachhaltigen Kontext stellen.

Eine deutsche Freiwillige in Kenia posiert mit zwei einheimischen Frauen in grüner Landschaft.
Nicht nur Freiwillige im Sport sollten immer auf Augenhöhe mit den Menschen sein, die sie unterstützen. Denn das gemeinsame Handeln bringt nicht nur das soziale Projekt voran, in dem sie tätig sind, sondern fördert auch das gegenseitige Vertrauen und lässt Freundschaften entstehen. Wie hier bei einem "PlayHandball"-Camp in Kenia.

Die eigene Motivation beleuchten

Warum engagiere ich mich in dieser Arbeit, in diesem Projekt, in diesem Land? Ist es, um wirklich zu helfen, oder geht es eher darum, mein eigenes Ego zu befriedigen? Will ich nur meine Bedürfnisse befriedigen und Dankbarkeit erwarten? Bin ich auch bereit zu lernen?

Zustimmung einholen

Es ist wichtig sicherzustellen, dass die Hilfe auf den lokalen Bedürfnissen und Wünschen basiert. Habe ich die Zustimmung und aktive Beteiligung der lokalen Gemeinschaft, wenn ich tätig werde?

Höre zu und lerne

Entwicklungszusammenarbeit und interkultureller Austausch, zu dem auch dein Freiwilligendienst gehört, sollten auf Kooperation und Dialog auf Augenhöhe basieren. Bin ich bereit, zuzuhören und von den Erfahrungen und dem Wissen der lokalen Gemeinschaft zu lernen?

Vermeide Stereotypen

Es ist wichtig, die Menschen vor Ort als gleichberechtigte Partner zu sehen. Um Stereotype zu vermeiden, ist es wichtig, eigene Vorurteile bewusst zu hinterfragen und offen für Vielfalt zu sein. Achte ich darauf, keine Stereotypen zu verstärken oder eine paternalistische, bevormundende Haltung einzunehmen?

Welche guten Praktiken und Lösungen gibt es?

Insgesamt ist es wichtig, dass Hilfe von außen auf respektvolle und nachhaltige Weise geleistet wird. Als freiwillige Person, die sich für gemeinnützige Zwecke einsetzt, solltest du die Stimmen der lokalen Gemeinschaften respektieren, auf ihre Bedürfnisse eingehen und ständig danach streben, positive und langfristige Veränderungen herbeizuführen.

Nicola Scholl von COACH ABROAD lächelt mit einer Projektpartnerin in Südafrika in die Kamera.
Projektpartner und Freiwillige sollten nachhaltige Lösungen aktiv gestalten, indem sie gleichberechtigte Partnerschaften aufbauen, langfristige Perspektiven schaffen, Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleisten und kulturelle Sensibilität entwickeln.

Möglichkeiten zur aktiven Gestaltung nachhaltiger Lösungen:

Entwickle Partnerschaften auf Augenhöhe

Baue Partnerschaften auf, die auf Gleichberechtigung und gegenseitigem Respekt basieren. Die lokale Bevölkerung sollte aktiv in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Schaffe langfristige Perspektiven

Setze auf dauerhafte Lösungen, anstatt kurzfristige Hilfe zu leisten. Dies fördert die nachhaltige Entwicklung der Gemeinschaft und schafft Vertrauen für die Zukunft.

Empowerment durch Hilfe zur Selbsthilfe in den Mittelpunkt stellen

Konzentriere dich auf Programme und Initiativen, die die lokale Bevölkerung stärken und Werkzeuge an die Hand geben, die sie in die Lage versetzen, ihre eigenen Herausforderungen zu bewältigen.

Achte auf Transparenz und Verantwortlichkeit

Sei transparent in Bezug auf Ziele, Finanzen und Entscheidungsprozesse. Rechenschaftspflicht gegenüber den lokalen Gemeinschaften und anderen Stakeholdern ist entscheidend, stärkt das gegenseitige Vertrauen und hilft, langfristige Beziehungen aufzubauen.

Entwickle kulturelle Sensibilität

Bilde dich weiter, lerne und entwickle kulturelle Sensibilität, um lokale Kontexte besser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

Fazit

Du bist in der Regel Teil eines etablierten Projekts und solltest daher deine Arbeit verstehen und dein Handeln reflektieren. Bringe dich aktiv, aber respektvoll ein, beobachte und lerne, mache Vorschläge und stelle Fragen.

Denn nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit ist komplex und vielschichtig. Die sensiblen Beziehungen und Netzwerke oft unterschiedlicher Organisationen aus Politik, Wirtschaft und dem sozialen Sektor sind dir mit einem kurzfristigen Einblick (noch) nicht immer bekannt. Sprich dich daher immer mit deiner lokalen Projektmentorin oder dem Projektmentor ab und versuche keine Alleingänge, deren Auswirkungen du (noch) nicht kennst.

Es ist wichtig, das eigene Handeln im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu reflektieren, um Abhängigkeiten und auch falsche Erwartungen zu vermeiden. Die bloße Bereitstellung von Geld oder Sachgütern ohne Kontext und langfristigen Plan ist keine nachhaltige Hilfe. Im Gegenteil, es schafft in der Regel Abhängigkeiten und auch Erwartungen an zukünftige Freiwillige, wieder als großzügige Spender aufzutreten.

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und dessen Auswirkungen ist wichtig für die nachhaltige Zukunft des Projektes, für die Stärkung des Selbstwertgefühls der lokalen Partner, aber auch für den Schutz des Ansehens (oder der Wahrnehmung) zukünftiger Freiwilliger.